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Julia Baier im Interview

Genoss:innen stellen sich vor

© Julia Baier/laif

"Das Künstlerische ist immer im Journalistischen mit drin"

In regelmäßiger unregelmäßiger Abfolge stellen wir hier unsere unterschiedlichsten Mitglieder der laif Genossenschaft vor. Diesmal ein Interview mit der laif Fotografin Julia Baier aus Berlin.

© alle Fotografien von Julia Baier.

Warst du heute schon schwimmen, in der Sauna oder wenigstens nah bei der Spree?

Tatsächlich komme ich gerade aus meinem Kiez-Schwimmbad um die Ecke und morgen ist ein Saunagang in unserem idyllischen Kleingarten an der Spree geplant. Du liegst mit deiner Vermutung also goldrichtig ☺

Du weißt, warum ich frage: seit mehr als 20 Jahren liebst du Orte, an denen man nass werden kann. Erzähl mal, warum auch ein 10 Meter Sprungbrett eine Rolle spielt.

Ja, Schwimmbäder, Schwimmbäder ….
Ich habe in Bremen Fotografie an der Hochschule für Künste studiert. Parallel dazu habe ich schon als Fotojournalistin für die taz und andere Redaktionen mein Geld verdient. An einem heißen Sommertag im Jahr 2001 bin ich zwischen den Fototerminen mittags in meinem Lieblingsschwimmbad verschwunden. Schwimmen war für mich immer schon ein Grundbedürfnis. Und Schwimmbäder sind außerdem wunderbar soziale Orte!
Ich bin also mitsamt Badeanzug und meiner Kamera auf den Zehner hoch, weil da zwei Jungs unermüdlich hinuntersprangen. Das wollte ich mir von der Nähe aus ansehen und so kam es zu einer Aufnahme, die dann für mich zu einem Schlüsselbild wurde.
Sie war der Startschuss für mein Diplomthema und für diverse weitere Serien über Menschen am Wasser in den darauffolgenden 20 Jahren.

© Julia Baier/laif aus der Serie „Die öffentliche Badeanstalt“.

Du hast in Japan und Ungarn und Island und Litauen mit Wasser zu tun gehabt. Du hast Ausstellungen und Bücher und Veröffentlichungen in Magazinen zu dem Thema gemacht. Die Wasser-Liebe bleibt bis zum letzten Tropfen?

Ja, Wasser und ich, das gehört wirklich zusammen. Ich habe neben den Badegeschichten auch mal eine Reportage über eine Schiffsmechanikerin auf einem großen Frachtschiff oder aber eine künstlerische Arbeit zum Wattenmeer gemacht. Ich liebe also Geschichten rund ums Wasser sowie Bilder über das Wasser an sich. Es ist so unglaublich ästhetisch von der spiegelnden Wasseroberfläche hin bis zu einzelnen Wasserspritzern, die in der Sonne glitzern.

© Julia Baier/laif aus der Serie „Die öffentliche Badeanstalt“.

Erzähl mal von der Corona Zeit bitte.

Die Coronazeit war überwiegend eine entschleunigte, produktive Zeit für mich. Prinzipiell hat mir der kleinere Bewegungsradius nach sehr reiseaktiven Jahren gutgetan. Ich bin unmittelbar zu Beginn des ersten Lockdowns in die kreative „Offensive“ gegangen und habe viel in meiner Berliner Umgebung fotografiert. Dabei ist die Serie „Die Decke über Berlin“ herausgekommen, eine Reflexion über meine Ambivalenz zwischen der plötzlichen Starre, dem Eingeengt -seins, aber auch der neugewonnenen Freiheit.
Beruflich sind natürlich Jobs weggebrochen. Am schmerzlichsten war, dass quasi alle Tourneen Der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen, dem Orchester, dessen Haus- und Hoffotografin ich seit über 20 Jahren bin, abgesagt worden sind.
Es ist erleichternd, dass die Dinge nun wieder Fahrt aufgenommen haben und ich zum Beispiel letzten Herbst mit dem Orchester zum zweiten Mal nach Südamerika gereist bin.

© Julia Baier/laif aus den Serien „Die öffentliche Badeanstalt“, „Dark Matter“, „WATER MATTERS“

Hast du noch Zeit für Fotojournalismus und welche Themen fotografierst du dann am liebsten?

Ja, ich habe noch Zeit für Fotojournalismus und hätte sogar noch Kapazitäten übrig! Gern her mit den Porträts, den Reportagen oder Reisegeschichten ☺ Ich habe immer gern fotojournalistisch gearbeitet. Es gab Jahre, da war ich für viele Magazine weltweit als Fotografin unterwegs. Ich bin sehr glücklich darüber, dass ich diese Zeiten erlebt habe. Ich hatte sogar 2005 das Angebot, bei der FAZ als feste Fotografin in Frankfurt anzufangen.
Aber es war mir immer schon etwas zu eingleisig, ausschließlich journalistisch zu arbeiten. Fotografie ist so vielfältig und ich bin froh, dass ich meinen Beruf auf unterschiedliche Säulen gestellt habe: auf die künstlerische und die fotojournalistische, aber auch auf das Fotografieren im Corporate Publishing Bereich und die Lehre. Alles zusammen ergibt immer noch einen guten gesunden Mix.

Du arbeitest auch als Dozentin. Welcher Unterricht für wen macht dir am meisten Spaß? Kann ich mich bei dir anmelden?

Ich habe von Kursen an Schulen über Lehraufträge bis hin zu internationalen Erwachsenen-Workshops alles gemacht. Die Arbeit mit Schüler:innen fand ich eine super Erfahrung, aber vielleicht hat mich das auch am meisten angestrengt. Ich bin ja keine ausgebildete Pädagogin…Im Ausland zu unterrichten fand ich ultraspannend, da es bei der Beschäftigung mit Bildern ja immer auch um unterschiedliche kulturelle Prägungen geht, die unmittelbar über die Fotoarbeiten ablesbar sind. Ich denke da an einen Workshop in Bahrain zurück, der unglaublich überraschend und aufschlussreich für mich war. An Kunsthochschulen ist die Arbeit vielleicht am intensivsten, da du die jungen Leute ja über einen längeren Zeitraum begleitest. Gerade die jüngere Generation bringt neue Skills, Fragestellungen und Sehgewohnheiten mit, von denen ich viel lernen kann. Und gern, ich nehme ab und zu Praktikantinnen, vielleicht bewirbst du dich einfach 😉 Oder aber ich gebe dir Bescheid, wann der nächste Workshop geplant ist?

© Julia Baier/laif aus der Arbeit „In Tune – Variations on an Orchestra“ über Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen.

Unbedingt! Andere Frage: Warum bist du bei Instagram?

Um als Fotografin sichtbar zu sein. Wenn eine Fotografin über Insta nicht auffindbar ist, so ist das eine vertane Chance. Ich nutze die Plattform als beständiges visuelles Tool, um aus meinem Alltag zu erzählen. Darunter mische ich eigene Ausstellungsankündigungen oder Einblicke in aktuelle Jobs.
Ich bin seit 4 Jahren Mitglied der UP Photographers, einem internationalen Fotograf:innen-Kollektiv. Wir verwenden Instagram recht aktiv als Kommunikationsraum, ohne den ich vielleicht nicht so schnell ein weltweites Netzwerk aufgebaut hätte. Es ist einfach bereichernd, wenn mich plötzlich eine junge Fotografin aus Brasilien anschreibt und ich im Gegenzug auch ihre Arbeit kennenlerne, auf die ich sonst nie gestoßen wäre.
Ich bin mir natürlich der kommunikativen Begrenztheit des Mediums bewusst. Es funktionieren am besten schnell erfassbare, ästhetische oder lustige Bilder. Für eine tiefere Auseinandersetzung sind die Website, Fotobücher und Ausstellungen weiterhin unersetzlich.

© Julia Baier/laif aus der Arbeit „In Tune – Variations on an Orchestra“ über Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen.

Woher holst du dir Anregungen?

Ich schaue mir sehr viel und gerne verschiedenste Ausstellungen an. Ich gehe gern ins Kino, in die Berge und auch Literatur ist für mich eine großartige Inspirationsquelle.
Für meinen eigenen künstlerischen Prozess hole mir Anregungen und ehrliches Feedback von Freund*innen, zum Beispiel innerhalb meiner langjährigen Berliner Ateliergemeinschaft.
Überhaupt bin ich eher ein Gruppenmensch. Wie erwähnt bin ich Mitglied bei den UP Photographers, seit kurzem auch der DGPh und ich teile einen Garten mit anderen an der Spree. Die Reise zum Fotofestival nach Arles habe ich auch schon gebucht, da ist der fotografische Austausch und neuer Input auch schon vorprogrammiert.
Um beweglich im Kopf zu bleiben, brauche ich auch körperliche Anregung:
mein Schwimmen, Yoga und das Rausgehen, und das gerne mehrfach in der Woche, sonst bin ich irgendwann unausgeglichen und uninspiriert.

Wie viel Künstlerisches darf in die dokumentarische, bzw. journalistische Fotografie rein?

Es wäre erstmal genau zu klären, was die Begrifflichkeiten künstlerisch und dokumentarisch/journalistisch eigentlich bedeuten…. Daher kann ich das hier nur vereinfacht beantworten.
Das journalistische Bild steht immer im Kontext einer Berichterstattung, hat also das Ziel, möglichst „objektive“ Bildinformation zu dem Geschehen zu liefern. Daher sollte sich das Künstlerische, also im Sinne eines zu subjektiven Ausdrucks der Autor*in hier eher zurücknehmen.
Aber natürlich ist jedes Machen von Bildern eine Suche nach kreativen Bildlösungen und daher künstlerischen Ursprungs. Das Künstlerische ist also immer auch im Journalistischen mit drin, ob wir das wollen oder nicht. Ich finde es erfreulich, wenn eine fotografische, teils unverwechselbare Handschrift zu erkennen ist.

© Julia Baier/laif aus der Arbeit „In Tune – Variations on an Orchestra“ über die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen.

Warum bist du Mitglied bei laif in der Genossenschaft?

Laif war immer schon eine der führenden deutschen Bildagenturen und
ich war gern Teil der laif Community, auch weil sehr viele meiner Fotofreund:innen von laif vertreten werden. Das schaffte ein solidarisches Grundgefühl. Als dann die Umwandlung in eine Genossenschaft Thema wurde, habe ich nicht lange überlegt, diesen Schritt durch meinen Beitritt zu unterstützen. Durch die Genossenschaft kann meines Erachtens eine journalistische Unabhängigkeit gewahrt werden, die gerade heute in den schwierigen Zeiten wichtiger ist denn je. Ich habe über die Organisationsform „Der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen“ ein ähnliches Prinzip kennengelernt. Das Orchester ist strukturiert als Gesellschaftsmodells, d.h. jede:r Musiker:in ist Gesellschafter:in und besitzt sozusagen einen Teil des Orchesters. Das ist hochkomplex, aber es führt zu einem solidarischen Miteinander und auch künstlerisch zu größerer Freiheit. Unterm Strich schafft das einen besonderen Spirit, der unverwechselbar ist. Und das hat mich schon immer beeindruckt.

Julia Baier

Julia Baier ist freischaffende Fotografin und lebt in Berlin.
Neben Aufträgen für internationale Agenturen, Magazine und Zeitungen, arbeitet sie ebenfalls an freien, fotografischen Themen. Hierbei gilt eine ihrer großen Vorlieben dem Wasser und Badekulturen weltweit. Ihre Arbeiten wurden mehrfach ausgezeichnet und in zahlreichen internationalen Ausstellungen gezeigt und sie hat bereits mehrere Bücher veröffentlicht: Sento (2008),Water Matters (2013) und In Tune–Variations on an Orchestra (2015), alle erschienen bei Peperoni Books.
Desweiteren unterrichtet sie Fotografie an Kunsthochschulen und gibt internationale Workshops. Seit 2003 ist sie Mitglied bei laif und seit 2019 auch bei den UP Photographers, einem internationalen Street Photography Kollektiv.

© Birgit Wingrat hat Julia Baier fotografiert.

Regina Kramer

Regina Kramer hat in Heidelberg Sprachen studiert. Danach ein Volontariat ausgerechnet bei der Zeitung bekommen, gegen die sie als Studentin wegen „reaktionärer Berichterstattung“ oft demonstriert hatte. In ihrem Abschlusszeugnis steht: „Fräulein Kramer hat das Zeug zu einer guten Journalistin. Sie hat eine Meinung und ein Talent zum Schreiben.“
Sie hat mal fest, mal frei für feministische /linke Zeitungen/Projekte gearbeitet.

Zuletzt schrieb sie Reportagen und Essays als fest angestellte Autorin für die Zeitschrift „Brigitte“. Bevor G&J eingestampft wurde und RTL kam, kam für sie die Rente. Lange davor schon das Fotografieren, ganz unprofessionell, nur gerne.

Seit Mai 2022 ist sie Mitglied bei der laif Genossenschaft eG. Aktuell befragt sie andere Mitglieder, was sie von Fotografie und der Welt und den aktuellen Bedingungen für Fotograf:Innen halten. So könnte es sein, dass wir uns demnächst unterhalten. Nice to hear you.