Vor 24 Jahren hast du mit Kollegen die Idee zur lit.COLOGNE entwickelt, das ist mittlerweile die größte Literaturveranstaltung in Europa. Und seit 2022 bist du auch Genosse bei der laif-Genossenschaft der Fotograf*innen. Fotografierst du eigentlich selbst?
Ich mache natürlich manchmal Alltagsfotos mit dem Smart-Phone, habe jedoch ie eine Profi-Kamera besessen, aber mich interessiert bei Fotos vor allem der dokumentarische und ästhetische Moment.
Als ich 23 Jahre alt war, habe ich in einem kleinen Verlag gearbeitet, und wir haben ein opulentes Grundlagenwerk zum Thema Waldsterben aufgelegt. Mit dokumentarischer Fotografie, das war die erste bewusste Erkenntnis, welche Bedeutung die dokumentarische Fotografie, auch im Sinne der Aufklärung, haben kann. Die Fotografen, die damals die Bilder zum Sachbuch gemacht haben, haben das Buch erst zu einem „Erlebnisbuch“ werden lassen, in dem Text und Bild gleichermaßen wichtig waren. Und so habe ich gelernt, dass das Ästhetische genauso aussagekräftig ist wie der Text. Das hat sich auch Jahre später wieder bestätigt, als ich mit Manfred Linke …
Warte mal, wir gehen besser chronologisch vor, sonst verliere ich den Überblick. Was ist alles passiert zwischen dem Waldsterben-Buch und dem Treffen mit Manfred Linke? Und, hm, wer ist Manfred Linke?
Vor dem Buch über das Waldsterben gab es ab Mitte der 1970er Jahre noch das Kölner Volksblatt, dessen großes Anliegen war, Gegenöffentlichkeit zu schaffen. Es gab wichtige Reportagen und Stellungnahmen zu sozialen Problemen und Ungerechtigkeiten. Und Berichte über die beginnende Anti-Atom Bewegung. Es haben eine Menge Leute da mitgearbeitet und geschrieben. Ich auch, aber zu der Zeit wars ich noch sehr jung, daher eher so am Rande.
Erinnerst du dich noch, über was?
Ja, ein wichtiges Ereignis, über das auch ich einen Artikel geschrieben habe, war z.B. im Oktober 1980, als ein großes Leverkusener Chemieunternehmen Dünnsäure heimlich in der Nordsee entsorgen wollte. Das fanden wir würdig zu stoppen. Wir haben uns in Leverkusen mit Schlauchbooten an den Rohren festgemacht, aus denen die Schiffe die Säure ins Meer verklappen würden. Die Wasserschutzpolizei fand unsere Aktion offensichtlich gut und hat uns überraschenderweise gar nicht geräumt. So dauerte der aktive Widerstand viele Tage und das war dann auch der Beginn und die Gründung von Greenpeace in Deutschland.
Ein weiteres Ereignis war die Großdemonstration im Februar 1981 in Brokdorf, zu der trotz Demonstrationsverbot 100.000 Teilnehmer kamen. Es war die größte Demo gegen die Atomkraft in der damaligen Bundesrepublik.
Im selben Jahr wurde das Volksblatt eingestellt, und aus der Zeitung entstand dann der Kölner Volksblatt Verlag, dein Buchverlag, bei dem ich dann von Anfang an dabei war.
Welche Schwerpunkte waren dort wichtig?
Ab Mitte der 1980er Jahre bekam die Auseinandersetzung mit Umweltfragen einen internationalen Charakter. So kamen immer mehr Berichte über die Zerstörungen im tropischen Regenwald in Brasilien in die hiesigen Medien. Mein Bruder arbeitete seinerzeit in Sao Paulo und lud mich natürlich immer wieder ein. Damals herrschte dort aber noch eine Militärdiktatur und wenn man jung ist, ist man ja auch wahnsinnig radikal und da habe ich gesagt: so lange da Militärdiktatur ist, fahre ich da nicht hin!
Das hat dann die Regierung eingesehen und die Militärdiktatur beendet…
So ungefähr (lacht) Ich habe damals mit Manfred Linke in einer großen Wohngemeinschaft zusammengewohnt. Er hat 1981 laif, die Agentur für Photos und Reportagen, mitgegründet und Anfang 2022 mit vielen anderen Kolleg*innen ja auch die laif-Genossenschaft. Ich habe also diese Geschichten über Brasilien erzählt, u.a. auch über das brisante deutsch-brasilianische Atom-Programm. Und Manfred hat vorgeschlagen, wir fahren da hin und machen eine große Reportage. Wir haben den STERN und den Spiegel kontaktiert, haben einen Auftrag bekommen. Und so kam es, dass ich zum ersten Mal zusammen mit einem Fotografen gereist bin und aus dieser ersten wurden danach zahlreiche Reisen. Später haben wir auch Reportagen für das öffentlich-rechtliche Fernsehen gemacht, Manfred als Kameramann und ich als Autor und Regisseur.
Das war eine wunderbare Kombination zwischen uns, ich habe viel gelernt über die Bedeutung von Fotografie und Film, darüber, wie Text und Bild zusammen gehen können.
Brasilien, Amazonien, 1992, Dreharbeiten zum Dokumentarfilm „Ein Traum von fetter Beute“. Rainer Osnowski (2.v.l.) und Manfred Linke (2.v.r.).
© Manfred Linke
Und was ist aus dem eher alternativen Kölner Volksblatt Verlag geworden?
Zuerst haben wir den Verlag als Kollektiv geführt, dann wollte ich ihn professioneller machen als die anderen Mitarbeitenden. Zusammen mit einem Partner haben wir fast 10 Jahre Bücher zu Ökologie und Politik erfolgreich publiziert, 1995 haben wir ihn eingestellt, weil mittlerweile auch „normale“ Verlage Bücher über Umwelt-Themen veröffentlichten. Das war natürlich ein sehr gutes Zeichen in Bezug auf die Durchsetzung „unserer Themen“, aber unser Geschäftsmodell war damit obsolet.
Ich vermute, du hattest weiterhin Lust auf alles, was mit Büchern zu tun hat?
Genau. Ich habe Werner Köhler kennengelernt, er war Geschäftsführer bei der „Mayerschen Buchhandlung“. Wir haben immer überlegt, wie man Bücher besser präsentieren kann. Überall gab es schon interessante Theater- , Film- oder Fotofestivals. Und obwohl das Buch eigentlich die Grundlage für so vieles ist, z.B. Drehbücher und Theaterstücke, gab es für Bücher nur diese komischen Lesungen in den Buchhandlungen, wo nach Geschäftsschluss um 19 Uhr eine Lesung stattfand, der Sauerstoff war verbraucht, die Stühle schlecht, professionelle Moderationen oder gar Technik gab es nicht.
Dann wurde die Reihe „Köln liest“ erfunden. Das war 1997. Wir hatten angekündigt, dass Prominente aus ihren Lieblingsbüchern lesen. Es war ein sensationeller Erfolg. Pro Veranstaltung
konnten 600 Leute teilnehmen und in einem halben Tag waren 12 Veranstaltungen komplett ausverkauft.
Da konnte man bereits sehen, wenn man etwas professionell gestaltet, dann wird das interessant.
Hattet ihr leichte Bedenken, dass das nicht funktioniert, dass niemand kommt?
Na ja, schon ein bisschen. Aber wenn man Groß-Demonstrationen in Brokdorf mitorganisieren kann, kann man auch Festivals organisieren… Und so haben wir uns klischeemäßig und symbolisch dicke Hosenträger angezogen und gesagt: wir sind die Größten und wir machen das größte Literatur-Festival … Es hätte auch komplett schiefgehen können, aber wir haben mit unserer Idee im Vorfeld direkt unheimlich viele Leute überzeugt, Verlage haben mitgemacht, Kiepenheuer, Hanser oder Diogenes waren die ersten, die haben
gesagt: wir wissen zwar nicht, was ihr macht, aber es klingt gut, wir sind dabei!
Und so haben wir 2001 die erste lit.COLOGNE veranstaltet, knapp 30.000 Besucher kamen.
Oh!
Ja, diese riesige Resonanz gleich beim ersten Mal hat uns dann doch umgehauen. Der letzte Abend war dabei eine Lesung im Kölner Dom.
Klaus Maria Brandauer liest im Kölner Dom bei der litCOLOGNE 2018.
© Manfred Linke
Und wahrscheinlich wurde nicht die Bibel vorgelesen…
Doch, denn es musste aus dem Alten oder dem Neuen Testament gelesen werden, das war quasi die Vorschrift des Domkapitels, und dann haben Eva Matthes, Hans-Peter Hallwachs und Hannelore Hoger vor 6000 Leuten im Dom gelesen, es waren mehr Menschen da als bei der Beerdigung des letzten Kardinals. An dem Abend standen die Leute in Vierer-Reihen um den ganzen Dom herum bis hinunter zum Rhein-Ufer, es war quasi eine Prozession.
Und nach diesem Abend und nach den ganzen Veranstaltungen wussten wir: wir haben wohl einen Nerv getroffen!
Rainer Osnowski begrüßt Bundeskanzler Olaf Scholz während der phil.COLOGNE am 12. Juni 2023.
© Ralf Jürgens
Im März dieses Jahres gab es die 23. lit.COLOGNE. Im Oktober gibt es eine neue Ausgabe der lit.COLOGNE-Spezial und parallel auch zum 7.Mal bereits die 2017 gegründete lit.RUHR.
Ja, schon das erste Festival nach der Pandemie im März 2023 war wieder größtenteils ausverkauft, die Vorbereitungen auf 2024 laufen auf Hochtouren. Und ab dem 17.Oktober startet die neue Ausgabe der lit.COLOGNE-Spezial in Köln und parallel die lit.RUHR im gesamten Ruhrgebiet mit über 70 Veranstaltungen. Insofern wird unser Erfolgsrezept trotz aller äußerer Widrigkeiten weiter stark angenommen.
Was liest du eigentlich privat? Eher Sachliteratur oder Belletristik oder …?
Da ich seit über 20 Jahren ein Literaturfestival kuratiere, muss ich ohnehin viel lesen, auch, was nachher gar nicht im Angebot der lit.COLOGNE erscheint. Eines der Hauptmerkmale der lit.COLOGNE ist ohnehin: wir sind gnadenlos subjektiv. Das heißt: Was wir – das ist ein kleiner Kreis von sieben Leuten – gut finden, wird in die engere Auswahl genommen. Ich lese viel, aber auch immer nach Elke Heidenreichs Maßgabe: Wenn dir ein Buch nach 30 Seiten nicht gefällt, kannst Du es ruhig weglegen! Niemand muss ein Buch zu Ende lesen.
Rainer Osnowski (l) im Gespräch mit Joschka Fischer (r), während der lit.COLOGNE 2018.
© Manfred Linke
Da bin ich geduldiger. Wer sagt, dass das Großartige einer Geschichte nicht ab Seite 31 los geht? Aber lass uns mal über Bilder reden. Ich gebe zu, dass ich bei manchen Fake-Bildern lache. Der Papst in der schicken Daunenjacke, Putin in Tränen. Aber natürlich ist mir klar, dass das eine sehr gefährliche Entwicklung ist. Seriöser gefragt: welche gesellschaftliche Aufgabe hat für dich die Fotografie?
Fotos, denken wir, zeigen die Wahrheit. Natürlich konnte man früher auch Fotos manipulieren, ich erinnere mich an die Anti-AKW Demos, da wurde von der „herrschenden Presse“- so nannten wir das damals – 10 gewalttätig aussehende Vermummte im Zusammenhang mit Falschmeldungen gezeigt, um die ganze Demo zu diskreditieren.
Aber heute geht es im Wesentlichen ja darum, die Freiheit des Journalismus – ich drücke das jetzt absichtlich ein bisschen pathetisch aus – zu verteidigen, und dazu gehört auch ein Selbstverständnis für Fotografie.
Wenn man jetzt nach dem Tsunami bei Gruner& Jahr beobachtet, welche fotobasierten Reportage-Einheiten da einfach gestrichen werden, dann zeigt man, dass man einfach gar kein Vertrauen mehr hat, was Fotografie bedeuten kann.
War das für dich der Grund, Mitglied bei der laif-Genossenschaft zu werden, obwohl du nicht Fotograf oder Journalist bist?
Diese Gründungsidee der Genossenschaft erinnert mich stark an unsere Anfänge, sowohl beim Kölner Volksblatt Verlag als auch bei der lit.COLOGNE. Die Gründung der laif-Genossenschaft hat mich von Anfang an elektrisiert, weil diese einen Wegweiser darstellt für den Journalismus, aber auch für viele andere Branchen, dabei einen dynamischen Prozess anstößt, um nachhaltige Veränderungen zu schaffen bzw. bestimmte Entwicklungen aufzuhalten. Wenn man sich die Konzernchefs einzelner Medienhäuser anschaut: da sitzen ein paar Gestalten, die den Rotstift in der Hand haben, um etwas zusammen zu streichen, ohne auf die Relevanz und Bedeutung für unsere Gesellschaft Rücksicht zu nehmen.
Je mehr wir versuchen, unsere Interessen zu bündeln und die Kraft daraus entwickeln, desto mehr können wir dem etwas entgegensetzen und unterstreichen: die Relevanz ist gegeben und wir versuchen, genau diese zu verteidigen.
Und gibt es genug Leute, die das auch zu schätzen wissen?
Es ist meine Erfahrung, dass Veränderung immer erst einmal nur von wenigen ausgeht. Um eine größere Relevanz zu erreichen, muss man einfach irgendwann mal anfangen, Aufklärung zu betreiben.
In diesem Zusammenhang sehe ich auch die Gründung der laif-Genossenschaft als ein Symbol, dass es möglich ist, negative Entwicklungen aufzuhalten.